Im Rahmen der Berichterstattung zur Landratswahl Gießen 2015 hat die Gießener Allgemeine allen drei Kandidierenden einen Fragebogen mit vorgegebener Zeichenzahl zukommen lassen, der binnen 4 Tagen zu beantworten war. Als Kandidat und somit Verantwortlicher für die Beantwortung der Fragen bin ich dabei wie immer vorgegangen: Ich habe zunächst die Fragen in ein Pad gestellt, anschließend auf unserer Mailingliste um Mithilfe bei der Beantwortung geworben und letztlich angefangen die entsprechenden Antworten zu gegeben. Bei der Beantwortung der Fragen stellte sich die vorgegebene Anzahl an Anschlägen als etwas problematisch dar, denn in meinem ersten Antwortentwurf präzisierte ich stark, was bei einigen Parteikollegen aufgrund der verwendeten Begriffe zu Verwirrung führte. Ich gehe davon aus, dass es Zeitungslesern ähnlich gehen wird. Insofern sich also nach dem Lesen der Antworten weitere Rückfragen ergeben, bitte ich Sie, die Kommentarfunktion unten zu nutzen.

Welche Argumente tragen Sie im privaten, nicht dem politischen Freundeskreis vor, wenn Sie darlegen wollen, wie sehr Sie Kreispolitik fasziniert? (400 Anschläge)

Kreispolitik fasziniert mich, weil sie uns direkt betrifft, aber leider zu wenig Partizipation bietet. Kreispolitiker haben oft Probleme mit Transparenz. Ist ja auch klar: Sie sind nur Ehrenamtler, wollen nicht bloßgestellt werden und haben Angst vor Wählern, wenn was schiefgeht. Sie verstehen nicht, dass durch Transparenz der Einfluss von Lobbyisten minimiert und der von Experten gestärkt wird.
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Vorausgesetzt, Sie werden am 14. Juni (wieder-)gewählt: Welche drei Dinge würden Sie gleich in der ersten Woche der neuen Amtszeit anpacken, welche im ersten Jahr? (600 Anschläge)

1. Woche: 1. Interkommunalen Kontakt zu den Landkreisen Lahn-Dill und Limburg-Weilburg wegen “Chance Arbeitsmarkt” aufnehmen. 2. Beauftragung eines rechtsgültigen transparenten Mietspiegels. 3. Ein Moratorium für Zwangsumzüge von Hartz-IV-Empfängern einleiten.

1. Jahr: 1. Mittels Rundem Tisch und Bürgerbeteiligung Förderung von Gründerinitiativen forcieren. 2. Schritte sondieren, um den Trend umzukehren, dass Armut in verkehrstechnisch schlecht angebundene Gemeinden abgeschoben wird. 3. Die von mir beim Kreisausländerbeirat vorgestellte interkulturelle Öffnung der Verwaltung in die Wege leiten.
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Plädieren Sie für die Kreisfreiheit der Stadt Gießen oder meinen Sie, der seit 35 Jahren geltende Sonderstatus mit Kreisangehörigkeit sei die bessere Lösung? (300 Anschläge)

Da es Instanzen wie das Regierungspräsidium gibt, die wenig demokratisch legitimiert sind, streben wir eine Staatsreform an. Dabei stehen Intransparenz und hohe Hürden sowohl für direkte als auch elektronische Demokratie im Fokus. Durch diese Reform könnte sich auch der Status von Gießen ändern.
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In diesem Zusammenhang: Brauchen wir im Kreis Gießen zwei mithin konkurrierende Schulträger, nämlich Stadt und Landkreis? (300 Anschläge)

Im Rahmen einer Konsolidierungsplanung des Staatsaufbaus, wie sie von uns etwa durch die Abschaffung des Regierungspräsidiums gefordert wird, würde ich dafür eintreten, solch überflüssigen Ballast von Bord zu werfen. Mit anderen Worten: Nein, wir brauchen nicht miteinander konkurrierende Schulträger.
(300 Zeichen)

Haben Sie ganz persönlich eine politische Vision für das Gießener Land, die zu erreichen man womöglich herkömmliche Wege verlassen müsste? (500 Anschläge)

In meiner Vision werden Gießen, Marburg und Wetzlar das Fundament für die Metropolregion Mittelhessen, die durch interkommunale Kooperation und innovative Ansätze der Wirtschaftsförderung enormes Potential hat und gleichzeitig das Leben in den umliegenden Gemeinden für alle lebenswert hält. Dank echtem Breitbandausbau inkl. WLAN/LTE arbeiten Bürger auch von zu Hause aus und arme Menschen finden zurück in die Gesellschaft anstatt wie bisher in die umliegenden Gemeinden “ausgelagert” zu werden.
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Im Wahlkampf war die Forderung nach einer professionelleren Wirtschaftsförderung (Ansiedlungspolitik) zu vernehmen: Teilen Sie diese Ansicht oder halten Sie die vorhandenen Instrumentarien und Initiativen für ausreichend? (400 Anschläge)

Der Landkreis Gießen schneidet derzeit leider sehr schlecht ab bei den Pro-Kopf-Investitionen und die Gewerbesteuereinnahmen der Universitätsstadt Gießen sind niedrig. Hier gilt es anzusetzen und Startupzentren sowie Coworkingspaces zu fördern, um Gründerinitiativen vor Ort zu halten, den Technologietransfer Universität – Privatwirtschaft zu stärken und ein kreatives Innovationsmilieu zu schaffen.
(400 Zeichen)

Welche Gewerbeland-Areale im Gießener Land sollten bevorzugt angepriesen und – gerade im Falle auswärtiger Interessenten – vermarktet werden? (maximal drei Nennungen) (200 Anschläge)

Die Gemeinden Fernwald, Buseck und Reiskirchen verfügen über eine exzellente Fernverkehrsanbindung, die jedoch nicht ausreichend genutzt wird. Hier ließe sich arbeiten und wohnen sehr gut verbinden.
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Zunehmend klagt die heimische Wirtschaft (Gewerbe, Handel, Handwerk) über einen Mangel an Fachkräften und an kompetentem Berufsnachwuchs. Andererseits ist im Gießener Land – trotz steter Bemühungen um Nach- und Weiterbildung auf vielen Ebenen – die (Langzeit-)Arbeitslosigkeit vergleichsweise hoch. Kann Kreispolitik – etwa als Jobcenter-Mitgesellschafter – diesen anscheinenden Widerspruch überwinden? (400 Anschläge)

Es liegt leider nicht in meinem Aufgabenbereich, die Verschulung der Bachelorstudiengänge zu stoppen. Wir brauchen mehr “Denk! Selbst!” statt Herdentrieb. Aber es gilt auch die vielen rechtswidrigen Praktiken (etwa. die Kürzung des Existenzminimums) der Jobcenter einzudämmen. Menschen können sich besser frei entfalten, wenn sie sich nicht unterdrückt, kontrolliert, überwacht und gezwungen fühlen.
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Im Lauf des kommenden Jahres endet das vom Kreis angestoßene und gemeinsam mit der  lokalen Wirtschaft getragene Großprojekt „Schnelles Internet für alle“. Die öffentlich-private Breitband Gießen GmbH ist dann Netzbetreiber. Sollte sie neue Infrastrukturziele anstreben? Wenn ja: Welche? (400 Anschläge)

Schnell ist relativ. Die USA zeigen gerade, dass der Trend zu Glasfaser geht – und dies sowohl als Down- wie Upstream. Was in Gießen schnell ist, beträgt 1/20 der Geschwindigkeit von dem, was in den USA schnell ist.

Wenn man den Ausbau gut angeht, kann man Mobilfunkanbieter umwerben, damit sie ihre 4G und 5G Stationen daran anschließen, um auch mobil eine adäquate Versorgung zu gewährleisten.
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Der ländliche Raum, nachgerade die kleineren Ortschaften und dort die älteren, weniger mobilen Menschen, steht hinsichtlich seiner Ausstattung vor einer schwierigen Zukunft: Wo und wie soll / kann der Kreis dazu beitragen, dass eine Grundversorgung (Medizin, Handel/Einkauf u.a.) gewährleistet bleibt? (500 Anschläge)

Mit innovativen Ansätzen. Die Grundversorgung muss vielleicht mobilisiert werden. Die medizinische Versorgung ließe sich mit fahrenden Praxen oder Fahrdiensten mobilisieren. Das kommt weniger mobilen Menschen zu Gute. Gründerinitiativen zur Bereitstellung von Seniorenbussen oder Gemeinschaftshäuser als Treffpunkte für Dorfcafés kann man fördern, um zusammen mit Einkaufsmärkten Lieferdienste anzubieten. Aufgrund des anstehenden demographischen Wandels benötigen wir mehr Mehrgenerationen-Projekte.
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Ein ganz aktuelles Thema noch zum Abschluss: Wie halten Sie es mit der „Willkommenskultur“ für Flüchtlinge und Asylbewerber im Landkreis? Was kann/muss Kreisverwaltung und Bevölkerung hier leisten können? (500 Anschläge)

Der Kreis muss beispielhaft vorangehen mit anonymisierten Bewerbungsverfahren, so dass Alter, Geschlecht und Herkunft bei Bewerbungen als Kriterien wegfallen. Als Landrat werde ich in das gemeinsame Projekt “Chance Arbeitsmarkt” der Landkreise Lahn-Dill und Limburg-Weilburg einsteigen, für mehr Intensivkurse/Intensivklassen sowie ehrenamtliche Helfer im Bereich Sprachintegration werben und interkulturelle Kompetenz als Bewertungsfaktor bei Einstellungen und Aufstiegen der Mitarbeiter einführen.
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Zusatzfragen für den Fall, dass noch ein bisschen Platz ist auf der Seite:

Die Kreisverwaltung ist seit 2009 (fast komplett) gebündelt am Riversplatz angesiedelt; so entschieden zu einer früheren Zeit von einer früheren Mehrheit. Ist das Raumangebot nach wie vor ausreichend – oder fehlt Ihnen was? (400 Anschläge)

Bisher sind noch keine Klagen aus dem Umfeld unserer beiden Kreistagsabgeordneten, im Rahmen von Informationsveranstaltungen oder über unsere elektronischen Kommunikationskanäle bzw. soziale Netzwerke an uns herangetragen worden.
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Wie halten Sie es mit dem Staatsaufbau? Brauchen wir Kreise und Regierungspräsidien? Brauchen wir so viele Kreise in Hessen wie derzeit (21, plus fünf kreisfreie Städte)? Halten Sie Regionalkreise für sinnvoller? (300 Anschläge)

Nein, brauchen wir nicht. Kann weg. Wir benötigen eine Konsolidierung, um Kosten einzusparen, effizienter zu handeln, mehr Demokratie und Bürgerbeteiligung bei möglichst niederschwelligem Zugang zu ermöglichen und dabei aber die kulturelle Identität der Menschen und Institutionen vor Ort zu erhalten. (302 Zeichen)

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