Am 27.08.2013 wurde mir als Direktkandidat der Piratenpartei Deutschland für den Bundestagswahlkreis Gießen über abgeordnetenwatch.de folgende Frage gestellt:

Wie stehen Sie zu einem von der NATO geführten Militäreinsatz in Syrien ohne Mandat der Vereinten Nationen?

Die Kurzantwort: Ich lehne einen von der NATO geführten Militäreinsatz in Syrien ohne Mandat der Vereinten Nationen ab.

Die längere Fassung:

Ich habe mit den Gießener Piraten folgenden Antwortentwurf erarbeitet. Meine Antwort wurde anschließend bei der Gießener Zeitung zur Diskussion gestellt, denn es ist mein Anspruch, dass vor einer Positionierung so vielen Bürgern wie möglich die Teilhabe ermöglicht wird. Auf den gegebenen Kommentaren beruht schließlich folgende Antwort:

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Meiner Meinung nach berührt keine Frage so sehr das Gewissen eines Menschen wie die Frage der Entscheidung über Leben und Tod von anderen Menschen. Ich möchte Ihnen daher zunächst die Position meiner Partei vorstellen und anschließend eine persönliche Antwort zur Erläuterung meiner Position geben. Zudem möchte ich zu Bedenken geben, dass aufgrund der unglaublichen Dynamik solch einer Situation meine Antwort in einigen Tagen bereits von neuen Fakten überholt sein könnte.

Aus dem Wahlprogramm der Piratenpartei Deutschland ergibt sich, dass Militäreinsätze immer nur die letzte Option sein dürfen und genau abgewogen werden müssen. Eine Beteiligung der Bundeswehr kommt für mich nur mit Mandat der Vereinten Nationen (VN) in Frage.

Leider gestaltet sich dies im Falle Syriens als äußerst kompliziert, denn Russland ist ein Verbündeter Syriens und China bindet sich bei Abstimmungen in den VN an das Votum Russlands. Somit dürfte ein VN-Mandat recht unwahrscheinlich sein, wenn man die letzten Monate betrachtet.

Es bräuchte auf jeden Fall eine Reform des VN-Sicherheitsrates, um die Blockaden durch Veto-Rechte aufzulösen. Dies wird aber den Menschen in Syrien nicht rechtzeitig helfen.

Leider ist auch die Lage in Syrien unübersichtlich, wer für was wie verantwortlich ist und ob wirklich chemische Waffen zum Einsatz kamen. Ich tendiere in solchen Fragen auf Informationen von Nichtregierungsorganisationen wie Human Rights Watch zurückzugreifen. Laut Bericht vom 22. August ist derzeit noch nicht geklärt, ob Massenvernichtungswaffen (MVW) für den Tod vieler Menschen verantwortlich sind. Zwar ist in dem Bericht auch die Rede davon, dass ursächlich Raketen ausgemacht wurden, “die aus von der Regierung kontrollierten Gebieten in Damaskus abgeschossen worden waren”. Eine unabhängige Bestätigung liegt jedoch bis dato noch nicht vor. Immerhin ist es zu begrüßen, dass die USA unter der Regierung Obama augenscheinlich den Einsatz von MVW verurteilen, wie jedoch vorgestern bekannt wurde, schreckten die USA im Irak-Iran Krieg nicht davor zurück, dem Irak Angriffsziele für den Einsatz von Nervengas zu liefern. Im Irak wurden der Weltöffentlichkeit schon mal Massenvernichtungswaffen als Kriegsgrund bzw. Kriegslüge präsentiert. Alle vorgetragenen Beweise sind also grundsätzlich und sorgfältig zu hinterfragen. Wir sollten abwarten, zu welchen Ergebnissen die Inspekteure der VN kommen.

Derzeit wird in den Medien diskutiert, ob es “chirurgische Schläge” mit Tomahawk-Raketen geben könne. Zudem wird einmal mehr völkerrechtswidrig eine Koalition der Willigen angestrebt.

Selbst wenn sich zweifelsfrei herausstellen sollte, dass MVV vom syrischen Regime eingesetzt wurden, erlaubt das Völkerrecht keinen militärischen Vergeltungsschlag der NATO, einer Koalition der Willigen oder im Rahmen eines Alleinganges der USA.

Der amerikanische Präsident Obama versucht derzeit zwar von den Volksvertretern in den USA Rückhalt für einen Militärschlag zu bekommen, aber selbst wenn ihm dies gelingt, so würde ein Militärschlag gegen geltendes Völkerrecht verstoßen, denn dieses erlaubt militärische Gewalt nur:

  1. Zur Selbstverteidigung.
  2. Unter einem Mandat der Vereinten Nationen.

Militärische Gewalt ist völkerrechtlich nicht dazu vorgesehen, um

  1. den Einsatz von MVV zu bestrafen.
  2. die Proliferation von Waffen zu adressieren.
  3. auf wage Bedrohungen zu reagieren.

Genau dies sind aber die vorgeschobenen Gründe, mit der Obama für einen Militäreinsatz wirbt.

Außerdem hinterfrage ich den Sinn und Zweck eines Vergeltungsschlages, zumal der Architekt des Kriegsplanes selbst daran zweifelt. Auch das amerikanische Militär hegt offenbar Zweifel an einem Vergeltungsschlag. Es wird Obama nachgesagt, dass er keine kohärente Strategie verfolgt.

Aber nehmen wir mal an, es gäbe ein VN-Mandat. Selbst dann würde ich als Politikwissenschaftler fragen:

  1. Was soll das konkrete Ziel eines Militärschlages sein?
  2. Wie soll dabei sichergestellt werden, dass durch im Zuge des Angriffs freigesetzte chemische Kampfstoffe nicht weitere unschuldige Zivilisten getötet werden?
  3. Unter welchen Kriterien wird der Angriff eingestellt?
  4. Wie sieht eine Exit-Strategie aus, wenn der Angriff nicht so läuft wie geplant?
  5. Ein Angriff wird das Problem nicht beseitigen. Gewalt erzeugt zudem immer Gegengewalt und es ist davon auszugehen, dass ein Angriff der USA die Saat auslegt für künftige Terroranschläge. Wie soll es also nach dem Angriff weitergehen?
  6. Es handelt sich nicht um irgendeine Region, sondern den Nahen Osten. Syrien ist zudem Teil des Einflussgebietes Russlands. Wie soll hier ein Flächenbrand verhindert werden?

Ich bin derzeit der Überzeugung, dass keine dieser Fragen hinreichend dahingehend beantwortet werden, dass ein Einsatz zu befürworten wäre.

Über all diesen Fragen schwebt zudem die Frage: “Wer profitiert von diesem Krieg und einem militärischen Eingreifen des Westens?”

Am Ende bleibt es eine Gewissensentscheidung, ob ein militärischer Einsatz größeres Leid verhindern kann oder ob es die Lage nicht noch verschlimmert. Vor allem braucht es eine gemeinsame Strategie, wie es mit Syrien weiter gehen kann. Ein Eingreifen ist einfach zu befehlen, löst aber die grundlegenden Konflikte und Probleme nicht.

Ich würde aufgrund der oben dargestellten Überlegungen solch einem Einsatz derzeit nicht zustimmen.

Ganz egal wer für den Massenmord verantwortlich ist: die Drahtzieher und ihre Schergen gehören meiner persönlichen Meinung nach vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Falls es zu einem völkerrechtswidrigen Angriff kommt, gehören auch die Aggressoren nach Den Haag vor den Internationalen Strafgerichtshof.

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